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Fahrlässige Körperverletzung mit möglichen Dauerschädigungen

Verfasst: 29.03.2017, 21:50
von chacmool
Guten Tag,

Vor 3 Wochen erlitt meine Mutter (75) in Folge eines Verkehrsunfalls äußerst schwere Verletzungen, deren Folgen noch unabsehbar sind.

Folgendes war passiert: Sie war Passagier in einem City-Bus einer steirischen Verkehrslinie, dessen Fahrerin aus nicht nachvollziehbarer Ursache die vorgegebene Route verließ. Sie beabsichtigte eine Bahnunterführung zu passieren, die aber für diesen Bus bei weitem nicht hoch genug ist. Folglich schrammte die Fahrerin mit der Decke des Busses in die Unterführung, der Bus blieb stecken, was sich fatal auf die Bergungsversuche auswirkte (die Feuerwehr musste den Bus zerschneiden, damit meine Mutter aus dem Bus geborgen werden konnte.)

Meine Mutter wurde von ihrem Sitzplatz durch den Bus geschleudert und mit dem Kopf voraus in die Plexiglasscheibe hinter der Fahrerkabine. Auch der zweite Fahrgast konnte nur verletzt geborgen werden.

Meine Mutter erlitt schwerste Kopfverletzungen, u.a. Schädelbasisbruch, Hirnblutung, Halswirbelbruch, Gesichtsknochenbrüche, Ober-und Unterarmbruch, Serienrippenbrüche, gewaltige Platzwunden am Kopf. Sie musste vom Notarztteam sofort ins künstliche Koma versetzt werden - 18 Tage lang - mit Folgewirkung - Lungenentzündung etc. Es ist noch nicht absehbar, welche Dauerfolgen das für die Gesundheit meiner Mutter bedeutet, noch ist sie nicht ansprechbar.

Soweit ich die Infos der Polizei verstanden habe, müssen wir nun den Strafrechtsprozess abwarten, mein Bruder muss interimistisch die Sachwalterschaft für meine Mutter übernehmen.

Meine Fragen nun - ab wann müssen wir zivilrechtlich aktiv werden, um Schmerzensgeld, Folgekosten etc. einzuklagen. Sollen wir nur einen Anwalt mit dem Mandat betrauen oder wie sollen wir am besten vorgehen?
Wer stellt den Sachverständigen, der den Grad der Verletzungen ermessen soll.
Worauf müssen wir achten, wir gehen davon aus, dass die Versicherung des Verkehrsunternehmens uns womöglich einen außergerichtlichen Vergleich anbieten würde - was doch ein gewisses Risiko birgt.
Da meine Mutter in einem steirischen LKH auf der Intensivstation versorgt wird, muss/will ich natürlich so oft wie möglich zu ihr fahren.
Stimmt es, dass ich dafür Kilometergeld verrechnen kann? Bzw ab wann kann ich entsprechende Aufwendungen geltend machen.

Ich weiß, das sind viele Fragen, ich hoffe, sie können mir einige Antworten darauf geben,

herzlichen Dank!

Verfasst: 30.03.2017, 11:41
von lexlegis
Strafrechtlich würde ich das Verhalten der Buslenkerin gegenüber ihrer Mutter unter § 88 Abs 1 und Abs 4 erster Strafsatz StGB subsumieren, wobei vermutlich bei einem Busunglück auch der seit 2016 existierende § 88 Abs 4 letzter Strafsatz StGB eine Rolle spielt.

Gemäß § 67 StPO können Sie sich im Strafverfahren privat beteiligen (§ 67 Abs 2 StPO). Ich rate Ihnen dies mittels eines PBV (Privatbeteiligten Vertreter) zu tun und im Strafprozess ein Schmerzengeld -vorbehaltlich der Geltendmachung weiterer zivilrechtlicher Ansprüche gemäß §§ 1295, 1325 ABGB- zu fordern. In wie weit die Forderung geht besprechen Sie am besten mit Ihrem Opferanwalt.

Im Strafprozess sollte die Frage nach der Gurtepflicht gemäß § 106 Abs 2 KFG (die niemand in Bussen einhält, die aber dennoch existiert und überall an den Busscheiben kundgemacht wird) eine geringe Rolle spielen. Kommt man zu dem Schluss, dass das nicht Anlegen des Sicherheitsgurtes als grob fahrlässig einzustufen ist, dann mangelt es für § 88 Abs 4 StGB an der objektiven Zurechenbarkeit, wenn der Unfall mit einem angelegten Gurt keine schweren Körperverletzungen zur Folge gehabt hätte. In diesem Fall bleibt es für die Lenkerin des Busses gegenüber Ihrer Mutter bei einer Strafbarkeit nach § 88 Abs 1 StGB.

Im Zivilprozess stellt das Missachten der Gurtepflicht, deren Einhaltung vermutlich schlimmeres verhindern hätte können, ein Mitverschulden nach § 1304 ABGB dar, wenn die schweren Verletzungen mit Gurt nicht zu Stande gekommen wären. Dass die schweren Verletzungen auch mit Gurt zu Stande gekommen wären, hat der Geschädigte, der die Gurtepflicht missachtet hat, zu beweisen, weshalb sich der Anspruch auf Schadenersatz schmälern könnte. Passiv legitimiert (fähig beklagt zu werden) sind die Lenkerin des Busses und gemäß § 1313a ABGB auch die steirische Verkehrslinie.

Alles Gute und viel Erfolg!

Verfasst: 30.03.2017, 18:35
von Hubert Neubauer
Ich würde jedenfalls empfehlen einen RA einzuschalten.

Lassen Sie sich keinesfalls mit einer Entschädigung abspeisen.

Es wird jedenfalls einmal ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet, aber im Strafverfahren bekommt Ihre Mutter, wenn dann nur einen Teil ihrer Ansprüche.

Ich kann Ihnen gerne weitere Infos per Mail zukommen lassen.

Vielen Dank!

Verfasst: 02.04.2017, 20:09
von chacmool
Herzlichen Dank für die ausführlichen Infos, ich bin nun am Sichten und Sortieren der Paragraphen - werde alle Aspekte und Vorschläge mit dem Anwalt besprechen.

Eine kleine gute Nachricht gibt es mittlerweile, meine Mutter ist aus dem Koma aufgewacht, ist bei Bewusstsein und kann uns erkennen. Das ist für uns schon Grund zu großer Freude.

Verfasst: 03.04.2017, 13:33
von lexlegis
Hoffentlich geht es ihr bald wieder besser.

Ich wünsch Ihnen und Ihrer Mutter alles Gute und viel Erfolg!

Verfasst: 06.04.2017, 00:13
von Das_Pseudonym
:shock:
Im Strafprozess sollte die Frage nach der Gurtepflicht gemäß § 106 Abs 2 KFG (die niemand in Bussen einhält, die aber dennoch existiert und überall an den Busscheiben kundgemacht wird) eine geringe Rolle spielen. Kommt man zu dem Schluss, dass das nicht Anlegen des Sicherheitsgurtes als grob fahrlässig einzustufen ist
Du hast übersehen:
Sie war Passagier in einem City-Bus einer steirischen Verkehrslinie
Normal hat ein Citybus keine Gurte.
Es wäre sehr interessant wieso:
dessen Fahrerin aus nicht nachvollziehbarer Ursache die vorgegebene Route verließ.