Also schreiben könnte man vermutlich ewig viel. Schade, dass der Sachverhalt sehr kurz und unbefriedigend ist.
Hier eine kleine Lösungsskizze:
Y gegenüber P
zu prüfen: § 95 Abs 1 zweiter Fall StGB.
Die Hilfeleistung muss leg cit „offensichtlich erforderlich“ sein.
Laut Sachverhalt sprachen viele Indizien (Regungslosigkeit, kein Puls, keine Atmung) dafür, dass keine Hilfe mehr bei der vermeintlich Toten erforderlich war (einer Toten kann man nicht mehr helfen).
Zu bejahen wäre daher ein Tatbildirrtum. Danach hat Y den TB des § 95 Abs 1 zweiter Fall zwar objektiv erfüllt, mangels Vorsatzes auf das TBM „Unterlassung der offensichtlich ERFORDERLICHEN Hilfe“ ist Y aber nicht nach § 95 Abs 1 zweiter Fall StGB zu bestrafen (§ 7 Abs 1 StGB).
X gegenüber P
zu prüfen: §§ 2, 75 StGB
Durch sein Verhalten (Stoßen der P, sodass diese sich sichtlich und auch für ihn erkennbar schwer am Kopf verletzt) hat X eine spezielle Situation geschaffen, die ihn aufgrund des Schaffens zur Abwendung eines Erfolges (Tod der P) verpflichtet hätte (Ingerenzprinzip). X rückt durch sein Gefahren begründetes Vorverhalten daher unter Umständen sogar in Garantenstellung (§ 2 StGB).
Laut SV hielt X die Verletzung der P zwar für schwer, allerdings nicht für tödlich. Für eine Subsumtion des Sachverhaltes unter § 2 iVm § 75 StGB braucht X zumindest bedingten Tötungsvorsatz, er muss es also beim Zurücklassen der Verletzten ernstlich für möglich halten und sich damit abfinden, dass P an dieser Verletzung sterben wird; laut Sachverhalt ist dies nicht der Fall.
Es kommt in solchen Fällen stark auf die Tatumstände an. Hätte es zum Beispiel im Freien minus 15 Grad gehabt oder wäre P weit weg von einer hoch frequentierten Straße oder eines oft begangenen Gehsteiges liegen gelassen worden und aufgrund der Umstände, dass sie keine Hilfe durch andere zu erlangen im Stande war, verstorben, wäre ein dolus eventualis des X auf § 75 StGB eventuell zu bejahen.
Lösung: X ist nicht nach §§ 2, 75 StGB zu bestrafen.
Zu prüfen: § 86 Abs 1 StGB
X hat beim Ausführen des Stoßes keinen Verletzungsvorsatz, Schupfen, Stoßen und dergleichen stellt aber eine Misshandlung, nämlich eine physische Einwirkung auf den Körper eines anderen dar, die Unwohlsein, aber als solche keine direkte KV herbeiführt. Da P stirbt ist KV mit tödlichem Ausgang zu prüfen.
X handelt objektiv sorgfaltswidrig (Stoßen der P)
X war zum Tatzeitpunkt geistig und körperliche in der Lage das gebotene Maß an Sorgfalt einzuhalten.
Es wäre zuzumuten gewesen das gebotene Maß an Sorgfalt einzuhalten.
X hat den TB erfüllt. Er hat P durch Stoßen am Körper misshandelt und dadurch fahrlässig ihren Tod herbeigeführt.
objektive Zurechung des Erfolges:
Das Verhalten des X war kausal für den Tod der P, denn hätte er sie nicht gestoßen, wäre diese nicht mit dem Kopf auf einem Fahrradständer aufgeschlagen und nicht gestorben.
Bei der Prüfung des Adäquanzzusammenhanges muss der Eintritt der Verhaltensfolgen für den Täter (nicht in allen Details, aber grob) vorhersehbar sein. Es kommt auf die objektive Vorhersehbarkeit zum Tatzeitpunkt an. Da zum Tatzeitpunkt laut Sachverhalt (der äußerst lapidar ist) wirklich keinerlei Verletzungsvorsatz des X gegeben war, wird angenommen, dass er die Tatfolgen, so wie sie eingetreten sind (bis zum Tod der P) beim Ausführen des Stoßes nicht vorhergesehen hat. Mangels eines Adäquanzzusammenhanges ist X somit nicht nach § 86 Abs 1 StGB zu bestrafen.
Zugerechnet wird jedoch die schwere KV der P. Diese liegt noch im Rahmen des bei der Ausführung eines Stoßes Vorhersehbaren. X ist daher nach § 84 Abs 1 StGB zu bestrafen.
Bejaht man hingegen den Adäquanzusammenhang, gelangt man zum Risikozusammenhang.
Beim Risikozusammenhang stellt sich die Frage nach dem Zweck der Norm. Durch das Missachten der Norm (du sollst nicht Schupfen) hat sich genau das verwirklicht, was eigentlich hätte verhindert werden sollen, ein anderer wurde dadurch am Körper schwer verletzt.
Ist der Tod zurechenbar?
Vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten von Dritten kann den Risikozusammenhang unterbrechen. Hätte Y geholfen, wäre P noch am Leben. Y hat aber weder vorsätzlich noch grob fahrlässig den Tod der P mitverschuldet, daher ist KEINE UNTERBRECHUNG des Risikozusammenhanges gegeben.
Lösung:
X ist je nach Ansicht entweder nach § 86 Abs 1 StGB oder nach § 84 Abs 1 StGB zu bestrafen.
Konkurrenz:
Gelangt man zu der Ansicht, dass X sogar nur das Grunddelikt nach § 83 Abs 2 StGB begangen hat, müsste man ihn auch nach § 94 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall (§ 7 Abs 2) StGB bestrafen; dieser wird bei anderer Ansicht (X ist strafbar nach § 84 Abs 1 StGB) wegen formeller Subsidiarität nach § 94 Abs 4 StGB verdrängt.
Ein interessanter Fall hierzu:
https://www.ris.bka.gv.at/Dokument.wxe? ... 800000_000
"Ein qualifizierter Taterfolg ist dem Täter grundsätzlich nur dann als fahrlässig herbeigeführt zuzurechnen, wenn er für ihn - aus der ex-ante-Sicht eines seinen Verkehrskreisen angehörenden und mit seinem Sonderwissen ausgestatteten sachkundigen Beobachters - nach den Erfahrungen des täglichen Lebens voraussehbar, also der Tathandlung adäquat war und dementsprechend im Rahmen des von ihm eingegangenen Risikos lag. Nur im Rahmen einer derart spezifischen objektiven Sorgfaltswidrigkeit in Bezug auf § 86 StGB, also einer objektiven Vorhersehbarkeit des Todeseintritts als Folge des konkreten Tatverhaltens, ist demnach die rechtliche Konsequenz atkuell, daß es auf die Vorhersehbarkeit des tatsächlichen Kausalverlaufs nicht ankommt. Bei zwei (wenngleich heftigen) Faustschlägen gegen die Mundpartie eines Erwachsenen, die sichtbar zwar erhebliche, aber noch leichte Verletzungen, jedoch ohne Lockerung von Zähnen hervorriefen und nicht einmal zum Sturz des schwer alkoholisierten Opfers führten, liegt diese Voraussetzung nicht vor, weil es nach allgemeiner Lebenserfahrung so gut wie ausgeschlossen ist, daß derartige Mißhandlungen unter den konkreten Umständen schon zum Tode führen."