Selbstverteidigung - "Scheinterrorismus"

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Hans Federer
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Selbstverteidigung - "Scheinterrorismus"

Beitrag von Hans Federer » 10.07.2016, 14:20

Hallo,
ich habe eine Frage im Bezug auf das Recht zur Selbstverteidigung, bzw. eine Frage dazu, wie folgende Situation zu bewerten gewesen wäre. Das ganze klingt im Vergleich zu vielem was ich hier bisher gelesen etwas extrem, aber ich kann euch versichern, dass es sich um eine wahre Begebenheit handelt, die mich bis heute beschäftigt.

Einen Tag nach den Terroranschlagen von Paris im November 2015 befand ich mich auf dem Heimweg und stieg am Westbahnhof in Wien in eine Straßenbahn. Ich setzte mich hin und im praktisch letzten Moment stürmte ein "arabisch" aussehender Mann durch die Tür und rief "Allahu Akbar, I'm ISIS and I am going to kill you all!" Praktisch direkt danach fing er an zu lachen und sagte "But I forgot my bomb today hahaha" und plötzlich realisierte jeder, dass der Typ einfach völlig betrunken war. Er torkelte dann rückwärts durch die noch immer geöffneten Türen wieder nach draußen und die Bahn fuhr los. Gerade als sich die Türen schlossen sah ich, wie ein Mann der direkt neben der Tür stand ein Messer zurück in seine Tasche gleiten lies, mit welchem er wohl ursprünglich den "Terroristen" attackieren wollte.

Meine Frage hierzu ist jetzt folgende: Nehmen wir an, dass dieser Mann direkt nach dem "I am Isis and I am going to kill you all" einfach sofort zugestochen hätte um den "Terroristen" auszuschalten und zwar mit dem Ziel, ihn wirklich sofort auszuschalten (zu töten) und später hätte sich herausgestellt, dass es sich hier nur um einen betrunkenen Spinner handelte, was hätte dieser Mann zu befürchten gehabt? Ab wann hätte er hier ggf. die Verhältnismäßigkeit der Notwehr überschritten gehabt?



lexlegis
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Beitrag von lexlegis » 10.07.2016, 16:37

Guten Tag!

Meines Erachtens sind 2 Konstellationen denkbar.

Erstens: Putativnotwehr nach § 8 StGB.

Objektiv also tatsächlich liegt kein gegenwärtiger oder unmittelbar drohender rechtswidriger Angriff auf eines der in § 3 Abs 1 StGB genannten Rechtsgüter (Leben, Freiheit USW) vor, denn der Mann wollte ja nur einen geschmacklosen Scherz machen; ein Angriff der unmittelbar drohen würde oder gegenwärtig wäre findet TATSÄCHLICH nicht statt.

Subjektiv glaubt der andere Mann mit dem Messer, dass ein unmittelbar drohender Angriff auf ein notwehrfähiges Rechtsgut (Leben von sich und anderen) vorliegt.

Angenommen, der Angriff hätte tatsächlich stattgefunden, dann wäre als adäquate Notwehrhandlung nun das gelindeste aber doch das endgültigste Mittel zu wählen, das unter krassen Umständen sogar die Tötung des Attentäters bedeuten kann.

Der Angriff hat aber NICHT stattgefunden.

Der Mann mit dem Messer ist nun wegen fahrlässiger Begehung zu bestrafen, wenn seine Annahme einer Notwehrsituation auf Fahrlässigkeit beruht. Wenn der redliche Durchschnittsbürger, das ist ein mit den rechtlich geschützten Werten verbundener Durchschnittsmensch, auch geglaubt hätte, der Mann will einen Anschlag verüben, dann wäre der Täter wegen Putativnotwehr entschuldigt.

Wenn aber zu erkennen gewesen wäre, dass der junge Mann einfach nur einen geschmacklosen Scherz machen wollte und eben offenkundig alkoholisiert war, dann beruht die Annahme, es handle sich um eine Notwehrsituation auf Fahrlässigkeit, wodurch gemäß 8 StGB der Mann, wegen fahrlässiger Tötung nach § 80 Abs 1 StGB zu bestrafen wäre.

Zweitens:

Entschuldigender Notstand nach § 10 StGB (richtig: Putativnotstand)

Das Rechtsgut Leben ist grundsätzlich nicht quantifizierbar. Um das Leben vieler Menschen zu retten, kann es aber sein, dass jemand eine Straftat verüben muss, auch wenn diese Straftat der Mord an einer Person ist, also wenn zum Beispiel ein echter Terrorist aufgehalten werden soll, wäre dessen Tötung im Rahmen des § 10 Abs 1 StGB entschuldigt.

Objektiv und somit tatsächlich, handelt es sich in Ihrem Sachverhalt um keine ECHTE Gefahr. Putativnotstand nach § 10 Abs 1 und Abs 2 StGB käme also in Betracht. In diesem Fall wurde das Vorliegen einer Notstandsituation insbesondere der in Anbetracht zuletzt vorgekommenen Anschläge, vermutlich zu Recht angenommen. Wenn auch der redliche Durchschnittsbürger, das ist wie schon erwähnt ein mit den rechtlich geschützten Werten verbundener Durchschnittsmensch, geglaubt hätte, der Mann will einen Anschlag verüben, dann wäre Täter wegen der Tat, die notwendig war um dies zu verhindern, ebenso entschuldigt, da von ihm nichts anderes zu erwarten war (§ 10 Abs 1 StGB leg cit) und dem Täter aus der Tat kein Vorwurf gemacht werden kann (§ 4 StGB).

Wenn aber zu erkennen gewesen wäre, dass der junge Mann einfach nur einen geschmacklosen Scherz machen wollte und eben offenkundig alkoholisiert war, dann beruht die Annahme, es handle sich um eine Notstandssituation auf Fahrlässigkeit, wodurch gemäß § 10 Abs 2 StGB der Mann, wegen fahrlässiger Tötung nach § 80 Abs 1 StGB zu bestrafen wäre.

FAKT IST:

Der Scherz ist in jedem Fall geschmacklos und auch dazu geeignet einen anderen an diesem Ort, wo er ausgesprochen wurde (mit der optisch gesehen zutreffenden Ethnie des Drohenden), zu beunruhigen.

Wenn so etwas nicht nur von dem Mann mit dem Messer, sondern auch von den anderen Leuten im ersten Moment durchaus ernst genommen worden ist, dann ist der Mann, der bevor die Pointe kommt, zusticht, wegen Putativnotwehr oder Putativnotstand vermutlich entschuldigt.

Wenn aber nur er dies annahm und jeder andere den dummen Scherz gleich erkannte, dann ist der Mann, der zusticht, wegen fahrlässiger Tötung zu bestrafen.

Wenn auch der Mann den Scherz erkannte und dennoch zustach, ja dann ist es eben Mord, weil auch subjektiv keine Annahme einer Notwehr- der Notstandsituation vorhanden ist.

Wie was wo und warum, entscheiden die Gerichte.

MfG
lexlegis
Zuletzt geändert von lexlegis am 10.07.2016, 23:04, insgesamt 1-mal geändert.

Hans Federer
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Registriert: 10.07.2016, 14:07

Beitrag von Hans Federer » 10.07.2016, 22:08

Hallo,
vielen Dank für diese sehr detaillierte uns ausführliche Antwort, das macht vieles klarer!

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