Erbrechtsfragen Pflichtteil, Enterbung

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EllaH
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Erbrechtsfragen Pflichtteil, Enterbung

Beitrag von EllaH » 22.05.2014, 09:37

Ich habe zwei Fragen an juristische Experten.

Meine erste lautet - ich habe gelesen, dass EIN Grund, direkte Nachkommen komplett zu enterben ist, "wenn sie den Erblasser in einer Notsituation im Stich gelassen haben" - da würde mich interessieren, wie das zu verstehen ist. Ich lebe seit Jahren im Zerwürfnis mit meiner Mutter, die an einer Kontaktaufnahme nicht interessiert ist und mich immer nur gegen Wände laufen lässt. Sollte ihr also etwas zustoßen, würde sich sicherlich mein Bruder um alles kümmern, könnte sie mich dann also enterben, weil ich sie "im Stich gelassen" habe?

Zweite Frage: Meine Mutter besitzt drei Liegenschaften, ich gehe aufgrund der Familienverhältnisse davon aus, dass ich im Todesfall, wenn sie mich nicht enterben kann, weil kein Grund vorliegt, ohnehin nur mein Pflichtteil bekommen werde. Aber: Wie sieht das rechtlich aus, wenn sich herausstellen würde, dass sie bereits zu Lebzeiten alle Liegenschaften meinem Bruder geschenkt hätte, um so quasi zu verhindern, dass die ungeliebte Tochter das Pflichtteil erhält? Ist so etwas zulässig?

Danke für eure Antworten!

Ella



lexlegis
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Beitrag von lexlegis » 22.05.2014, 13:13

Wenn von der Mutter eine vehemente Zurückweisung auftritt, die hauptsächlich auf Einseitigkeit beruht, dann genügt dies nicht um den Enterbungsgrund des § 768 Z 2 ABGB zu setzen, falls Sie als Tochter aufgrund dieser ständigen Zurückweisung bei ihren Hilfeleistungen in einer Notsituation eher zurückhaltend vorgehen.

In der Judikatur finden sich für § 768 Z 2 ABGB ein paar Beispiele. Danach ist unter Notstand jeder Zustand der Bedrängnis zu verstehen, der nach den Grundsätzen der Menschlichkeit gerechter Weise zu der Erwartung berechtigt, dass der Pflichtteilsberechtigte dem Erblasser helfen werde.

Ein Beispiel:

Haben die Adoptiveltern einen Erwachsenen deshalb adoptiert, damit er ihre Landwirtschaft, die sie infolge ihres Alters und ihrer Krankheit nicht mehr allein führen können, weiterführe und verlässt er in der Folge ohne triftigen Grund die Adoptiveltern und deren Landwirtschaft, die hierauf verfällt, so hat er durch dieses Verhalten den Enterbungsgrund des § 768 Z 2 ABGB gesetzt.

(GZ: 6Ob113/64; 6Ob368/64; 1Ob258/68; 5Ob279/71; 4Ob555/79; 5Ob756/81; 8Ob549/84; 7Ob505/95; 6Ob1522/96; 1Ob2222/96p; 10Ob2379/96t; 2Ob252/00y; 9Ob27/07x; 6Ob80/10y)

Was die Mutter zu Lebzeiten mit ihrem Vermögen macht ist ihre Sache (§§ 354, 362 ABGB). Das Eigentumsrecht ist das dingliche absolute Recht gegenüber jedermann. Das Verschenken der Liegenschaften ist durchaus zulässig.

MG
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Beitrag von MG » 22.05.2014, 13:21

Das Verschenken ist natürlich zulässig, aber Sie als Pflichtteilsberechtigte, können bei der späteren Berechnung IHRES Pflichtteiles verlangen, dass diese Schenkungen berücksichtigt werden.

s. z.B. hier: http://www.jus24.at/a/die-berechnung-des-pflichtteils

mfG
RA Michael Gruner

EllaH
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Beitrag von EllaH » 22.05.2014, 20:11

Vielen Dank für die aufschlussreichen Antworten.

Ich lese daraus, dass in meinem Fall ein Enterbungsgrund nicht gegeben ist, und dass ich im Fall einer Schenkung der Liegenschaften zu Lebzeiten an meinen Bruder mein Pflichtteil offenbar gerichtlich einklagen kann (oder wie auch immer das dann abläuft).

Eine Frage an Dr. Gruner noch. Ich zitiere aus dem angegebenen Link

<<Der Schenkungsanrechnungspflicht unterliegen Schenkungen an Pflichtteilsberechtigte (hierbei soll eine doppelte Begünstigung verhindert werden) sowie auch Schenkungen an nicht Pflichtteilsberechtigte, wenn diese innerhalb von zwei Jahren vor dem Tod des Erblassers erfolgt sind.>>

Ich bin juristisch völlig unbedarft. Heisst das, wenn meine Mutter HEUTE meinem Bruder ihre Liegenschaften schenkt und erst in zehn Jahren stirbt, kann ich mein Pflichtteil nicht mehr einklagen?

lexlegis
Beiträge: 1186
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Beitrag von lexlegis » 22.05.2014, 21:50

Nein, den Pflichtteilsanspruch haben Sie in jedem Fall nach dem Tod des Erblassers, der Pflichtteil steht Ihnen von Gesetzes wegen (ex lege) zu (§§ 762, 765 ABGB).

Gemäß § 785 Abs 1 ABGB müssen bei Verlangen eines Pflichtteilsberechtigten grundsätzlich die Schenkungen des Erblassers berücksichtigt werden. Sollten diese Schenkungen aber früher als 2 Jahre vor dem Tod des Erblassers erfolgt sein, wird diese gemäß § 785 Abs 3 letzter Satz ABGB nicht berücksichtigt, das hat aber keinen Einfluss auf Ihren generellen Pflichtteilsanspruch.

Hubert Neubauer
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Beitrag von Hubert Neubauer » 23.05.2014, 07:41

Wenn das Geschenk an einen Pflichtteilsberechtigten geht (ihren Bruder) dann ist die 2 Jahres Frist nicht relevant.

EllaH
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Beitrag von EllaH » 23.05.2014, 08:32

Danke Hubert Neubauer.
Das ist es, was ich wissen wollte.

Auf einfach-deutsch heisst das, mein Pflichtteil aus den derzeit im Besitz meiner Mutter befindlichen Liegenschaften steht mir in jedem Fall zu, auch wenn sie zu Lebzeiten bereits meinem Bruder geschenkt wurden.

Dass es sich anders verhält, wenn sie an jd. Dritten verkauft/verschenkt würden, ist mir schon klar. Nur gäbe es dann ja zB im Falle eines Verkaufs einen Erlös, der wiederum in den Nachlass fallen würde.

Vielen herzlichen Dank Ihnen allen!

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